Brunsviga
Grimme, Natalis & Co. entstand 1871 als Zusammenschluss vorher existierender Firmen an der Kastanienallee 71, damals am Stadtrand, mit der Produktion von Nähmaschinen und anderen Haushaltsgeräten. Es waren schon Zehntausende von Nähmaschinen gefertigt worden, als es 1884 das Angebot gab, die von Willgodt Theophil Odhner [1] entwickelte und patentierte Rechenmaschine für den Markt in Deutschland, Belgien und der Schweiz in Lizenz zu fertigen.
Es war der Ingenieur Franz Trinks, der das Potential erkannte: für die Fertigung brauchte man keine besonderen neuen Werkzeuge, aber in dem neuen Markt gab es im Gegensatz zu dem Markt für Nähmaschinen noch keine nennenswerte Konkurrenz in Europa. Gegen den anfänglichen Widerstand der anderen Teilhaber wurden die Rechte erworben. Und es lohnte sich: schon im ersten Jahr wurden unter dem Markennamen Brunsviga mehrere hundert Rechenmaschinen verkauft.
Bei dem ursprünglichen Gerät blieb es nicht. Bis in die 1920er Jahre wurden die Maschinen von Franz Trinks kontinuierlich weiterentwickelt. Der Name Brunsviga wurde 1927 auf die ganze Firma übertragen. Noch 1955 beschäftigte Brunsviga über 1000 Mitarbeiter; mehrere Hunderttausend Maschinen waren bis dahin verkauft worden.
Wie man sich heute leicht vorstellen kann, war die Ablösung von mechanischen Rechenmaschinen durch andere Technologien spätestens ab den 1960er Jahren vorgezeichnet. Elektronische Geräte benötigen eine geringere Anzahl an Bauteilen verglichen mit den hunderten von Teilen eines mechanischen Geräts. Im Zuge der Miniaturisierung von elektronischen Bauteilen, dann der Entwicklung von elektrischen Schaltkreisen auf günstig herzustellenden Chips mussten Preise rasant fallen. Zumal sind elektronische Geräte lautlos und kompakt und können schließlich zu Taschenrechnern werden. Was sollte ein Unternehmen dagegen machen, das die Feinmechanik auf die Spitze getrieben hatte und diese effizient produzieren konnte? Heute würde man von disruptiven Technologien sprechen, damals dürfte den Begriff wohl noch niemand gekannt haben.
1957 beteiligten sich die Olympiawerke an Brunsviga, um sie zwei Jahre später komplett zu übernehmen. Olympia ist manchem durch seine Schreibmaschinen bekannt (ich hatte eine Olympia Carrera), aber es wurde in dieser Zeit einer der führenden Hersteller von Büromaschinen. Olympia wurde schon 1962 wiederum vollständig von der AEG übernommen, die wiederum 1985 in Daimler Benz aufging. Allerdings war auch Olympia keine große Zukunft mehr beschieden: ab den 1980ern folgte eine Krise der nächsten, und 1992 wurde das Unternehmen geschlossen.
In Braunschweig war allerdings schon lange vorher Schluss. Im Laufe der 1960er Jahre verschwanden sowohl die Rechenmaschinen als auch die Marke Brunsviga – in der Kastanienallee und an der Hamburger Straße wurden Olympia-Geräte gefertigt. 1967 wurde die Fertigung zusammengelegt in einem Neubau an der Gifhorner Straße 57. In die Kastanienallee zogen die Technikerschule (heute Technikakademie) der Stadt Braunschweig und die Berufsbildende Schulen V ein, in die Hamburger Straße ein Supermarkt (erst scala, dann allkauf, schließlich real). Schon 1979 gingen auch in der Gifhorner Straße die Lichter aus. Das Werk wurde im folgenden Jahr von Volkswagen gekauft – heute sitzt dort die Volkswagen Bank.
Commodore
Jeder in meinem Alter kennt den C64, den ersten verbreiteten Heimcomputer. Er wurde von der Firma Commodore produziert, die – man staunt – schon 1954 von Jack Tramiel gegründet wurde. Sie fing an mit Schreibmaschinen, wechselte dann auf mechanische Rechenmaschinen und schließlich auf elektronische Taschenrechner.
Die Idee, in die Entwicklung von Mikrocomputern einzusteigen, stammt wohl von Chuck Peddle [2], der durch den Kauf eines Chipproduzenten in das Unternehmen kam und zum Leiter der Entwicklung wurde. So stellte Commodore Anfang 1977 den PET vor, der nach dem Apple I aus dem Vorjahr als zweiter erschwinglicher Personal Computer gilt, im Gegensatz zu jenem aber als voll integriertes Gerät mit Monitor, Tastatur und Datasette (ein Kassettenlaufwerk zum Speichern von Daten) ausgeliefert wurde.
Rund ein Jahr später wurde der VIC-20 (in Deutschland VC-20) eingeführt, der im Heimcomputer-Bereich notwendige Grafik- und Soundfähigkeiten mitbrachte, dafür aber wie eine Videokonsole für den Anschluss en einen Fernseher ausgelegt war. Dank seines günstigen Preises verkaufte er sich schon immerhin 2,5 Millionen mal.
In diese Zeit fiel 1980/81 die Aufnahme der Fertigung in Braunschweig, mit der vor allem der europäische Markt bedient werden sollte. Hier bot sich ein Gebäude in der Ernst-Amme-Straße an, das die Frankfurter Messgeräte-Firma Hartmann & Braun (die seit 1935 eine Zweigstelle in Braunschweig hatte) seit 1956 genutzt hatte. Eine bei (und später in) Frankfurt gelegene deutsche Commodore-Niederlassung seit den früheren 1970ern hatte nur Vertriebsfunktion gehabt.
Im wesentlichen ging es bei der Arbeit hier um das Zusammensetzen von Komponenten; Platinen wurden fertig aus Hongkong geliefert. Einen Eindruck kann man in einem Video auf Youtube bekommen. Allerdings gab es auch eine Entwicklungsabteilung, die z. B. für die IBM-kompatiblen PCs von Commodore verantwortlich war. Insgesamt 200 Mitarbeiter waren im Einsatz, davon 140 in der Produktion.
Der Nachfolger des VIC-20 war 1982 der legendäre C64, der insgesamt 22 Millionen mal verkauft wurde – tatsächlich wurde er noch bis zum Konkurs der Firma produziert, obwohl es inzwischen mehrere bessere Computermodelle von Commodore gab. Die Verkaufszahlen des C64 über Jahre hinweg täuschten aber auch darüber hinweg, dass gleichzeitig eine Reihe von Flops entwickelt wurden. Für die nächste Evolutionsstufe, den Amiga, musste sogar die gleichnamige Firma zugekauft werden.
Da der Verkauf in dieser Zeit florierte, wurde die Braunschweiger Fertigung 1987 nach Veltenhof verlagert; dort sollen in der Spitze bis zu 2000 Menschen beschäftigt gewesen sein. Commodore ging 1994 in Konkurs – zuerst die amerikanische Zentrale (bzw. deren Sitz auf den Bahamas), einige Monate später die deutsche Niederlassung. Eine noch kurz vorher neu gebaute Halle wurde von der Verpackungsfirma Streiff und Helmold übernommen. Noch heute gibt es dort eine kleine Commodore-Ausstellung.
Was war schiefgegangen? Zum einen muss man wohl feststellen, dass der PC-Markt in den 1980er und 1990er ein Hauen und Stechen war, bei dem nur wenige Hersteller bestanden. Auch Atari musste kurz kurz nach Commodore die Segel streichen, Apple war 1996 am Rande einer Pleite. Deutsche Computer-Ketten wie Vobis und Escom sind Vergangenheit. Zum anderen hatte Commodore bei seiner Produktstrategie und seinem Marketing nicht die glücklichste Hand. Mit der rapiden Verbesserung der Sound- und Grafikfähigkeiten von anderen PCs wurden Amigas allmählich in dem Gebiet eingeholt, wo sie einst anderen deutlich überlegen waren. Gleichzeitig galten Amigas stets eher als Spiele-PCs denn als professionelle Geräte, was sie daran hinderte, sich in Bereichen wie Textverarbeitung und Tabellenkalkulation zu verbreiten. Die IBM-kompatiblen PCs von Commodore wiederum hatten keine signifikanten Vorteile gegenüber der Konkurrenz aus Fernost. Sie waren defizitär und untergruben das Vertrauen in die Marke „Amiga“.
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Quellen
- [1] Willgodt Theophil Odhner
Public Domain - [2] Chuck Peddles
Jason Scott
CC BY 2.0