Das Schloss, ach ja, man weiß gar nicht, ob man es Schloss nennen soll, weil es im Gegensatz zu manch anderen Wiederaufbauten nicht auf vorhandenen Kriegsruinen aufgebaut wurde, sondern ein kompletter Neubau ist, bei dem ein paar überlieferte Teile verwendet wurden. Spöttisch wird es Vorhängeschloss genannt, weil es nur eine Schlossfassade sei, die vor ein Einkaufszentrum gehängt wurde. Da ist etwas dran, und doch ist es etwas komplizierter.

Die Schlossfassade ist sowohl von vorne als auch von den Seiten komplett, selbst von den Rückseiten der Seitenflügel wurde ein kleiner Teil rekonstruiert. Es ist also mehr als nur eine vorgehängte Fassade. Die Rückseite ist stark vereinfacht, wo sie man wegen des Einkaufszentrums normalerweise nicht sieht. Falls eines Tages das Einkaufszentrum weggesprengt wird, hat man aber immer noch die Chance, das Schloss in einer Weise zu komplettieren, die über andere Rekonstruktionen hinausgeht.
Was mich am Schlossplatz stört, ist vor allem, dass er als eine komplette Pflasterwüste erscheint, als wollte man demonstrieren, dass die Debatte über Flächenversiegelung noch nicht in Braunschweig angekommen ist. Um so absurder wirkt das, wenn man bedenkt, dass hier vor 2006 ein Park mit über 200 Bäumen war.
Die Pflasterung geht auf der Rückseite weiter, die doch eigentlich mit dem Brunnen einen geradezu idyllischen Aufenthaltsort fürs Eis-Essen bietet.

Das Schloss hat den Bohlweg in diesem Bereich deutlich aufgewertet. Vor dem Bau des Schlosses war hier eine Querung für Fußgänger weitgehend gar nicht möglich – man sollte den Tunnel zum Horten-Kaufhaus (später Kaufhof, inzwischen geschlossen) benutzen! Die Hoffnung, dass der Schlossbau Verbesserungen auf der anderen Seite des Bohlwegs nach sich ziehen würde, hat sich jedoch nicht erfüllt. Zum Teil stehen hier noch eingeschossige Behelfsbauten aus der unmittelbaren Nachkriegszeiten, in denen heute Imbisse betrieben werden. Zum Vergleich hier die Situation 1906 [1].
Die Quadriga ist ca. 9 m hoch, höher ist keine andere in Deutschland, auch nicht die in Berlin. Die Dame auf dem Streitwagen soll Brunonia sein, die Stadtgöttin von Braunschweig, und außerdem die von Herzog Wilhelm, für den das W in ihrem Stab steht. Von dem latinisierten Namen sollte man sich nicht täuschen lassen: Brunonia ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts.

Und was ist da im Giebelrelief zu sehen? Das ist Heinrich der Löwe, wie er auf seinem Thron sitzend die Huldigungen der unterworfenen Wenden entgegennimmt.
Zwei weitere der von Braunschweig verehrten Herrschern sind zu Pferde zu sehen, Friedrich Wilhelm (der Schwarze Herzog) und sein Vater Karl Wilhelm Ferdinand, die gleichen, denen mit dem Obelisken am Löwenwall gehuldigt wird.

Geschichte
Braunschweig brauchte jahrhundertelang kein Schloss, da es zwar nominell Teil eines seit 1235 geschaffenen Herzogtums Braunschweig-Lüneburg war, aber sich weitgehende Autonomierechte ertrotzt hatte. Dazu kam, dass das Herzogtum beginnend 1269 über die Zeit mehrmals aufgeteilt wurde und kleinere Teilfürstentümer Lüneburg, Calenberg, Grubenhagen und Göttingen entstanden. Kurioserweise führten die Herzöge aller dieser Kleinfürstentümer den Titel Herzog von Braunschweig-Lüneburg, und Braunschweig gehörte theoretisch allen gemeinsam. Die Residenz des Teilfürstentums Braunschweig wurde 1432 nach Wolfenbüttel verlegt. Eine dauerhafte Residenz in Braunschweig war also nicht notwendig.
Das änderte sich nach der Unterwerfung Braunschweigs durch den Herzog 1671. Nun musste eine standesgemäße Residenz her. Aber erst 1717 wurde mit dem Bau begonnen, und erst Karl I. verlegte seine Residenz 1754 aus Wolfenbüttel hierhin. Die dreiflügelige Anlage um einen Ehrenhof wurde Grauer Hof genannt, angeblich inspiriert durch die grauen Kutten der Riddagshäuser Zisterziensermönche, denen das Grundstück vor dem Schlossbau gehörte.
Mit dem Umzug war der Schlossbau jedoch noch nicht beendet. Bis 1791 dauerte es, bis auch der Mittelbau vollendet war. Über 70 Jahre hat es also gedauert, eine Zahl, die vielleicht die Dauer heutiger Bauvorhaben relativiert.
Das Ende des Grauen Hofs kam mit der Revolution von 1830, als eine Menschenmenge den Schlosshof erstürmte und das Schloss in Band setzte. Herzog Karl II. floh und sollte nie wieder zurückkehren [2].

Im folgenden Jahr wurde mit dem Bau eines neuen Schlosses begonnen. Architekt war Carl Theodor Ottmer, dem wir u. a auch den Alten Bahnhof verdanken. 1841 konnte das Schloss vollständig eingeweiht werden (ein Teil wurde schon vorher bezogen). Im Gegensatz zum Grauen Hof gab es nun keinen Ehrenhof mehr, die Seitenflügel zeigen nun nach hinten. Die Form des Neubaus war eine völlig andere. Damit war das Bauensemble noch nicht beendet. Die Quadriga kam nach mehrjähriger Fertigungszeit 1863 dazu. Lange währte sie aber nicht: schon 1865 brannte das neue Schloss; und zwar in einem solchen Umfang, dass die Quadriga dabei zerstört wurde [3].

Anhand eines Modells konnte man sie aber innerhalb von drei Jahren noch einmal gießen. 1874 kamen noch die Reiterstandbilder dazu.
Die Ansicht von vorn auf das Schloss war weitgehend die von heute – die Fassade stimmt überein, Quadriga und Reiterstandbilder sind an ihrem Platz. Die Ansicht von hinten mit der Rotunde kann man heute natürlich nicht mehr nachvollziehen, da der Bereich zwischen den Seitenflügeln jetzt durch das Einkaufszentrum ausgefüllt ist [4].

In dieser Form war das Schloss mehrere Jahrzehnte lang ein zentrales Bauwerk der Stadt. Nur die Nutzung änderte sich noch einmal nach dem Ersten Weltkrieg: die Monarchie war am Ende, der Herzog ging nach Österreich ins Exil, die Demokratie zog ein in Braunschweig, aus dem Herzogtum wurde der Freistaat Braunschweig. Das Schloss wurde nun ein Ort der Kultur: ein Museum wurde eingerichtet, die Kammerspielbühne des Landestheaters nutzte den Großen Ballsaal, das Naturhistorische Museum fand hier ausreichend Platz. Auch die Gesellschaft der Freunde junger Kunst konnte Räumlichkeiten für zeitgenössische Kunst bekommen. Mehr Kultur gab es nie in einem Haus in Braunschweig.
Ins Gegenteil verkehrt wurde die Entwicklung, als 1935 die kulturellen Einrichtungen durch eine SS-Junkerschule ersetzt wurden. Als logische historische Konsequenz erscheint es da, dass das Schloss im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde, insbesondere der Nordflügel. Im Unterschied zu weiten Teilen der Wohnbebauung der Innenstadt war es aber durchaus nicht irreparabel zerstört. Es hätte halt enorme Investitionen verlangt, es wieder einzurichten, die politisch nicht gewollt waren. Die Stadt – der das Schloss vom Land Niedersachsen als Rechtsnachfolger des Freistaats Braunschweig übereignet worden war – beschloss unter einer SPD-Regierung mit knapper Mehrheit den Abriss 1960.
Nach dem Abriss gab es hier für mehrere Jahrzehnte den Schlosspark. Erst Anfang der 2000er Jahre gab es erneut eine Chance für einen Wiederaufbau, als sich ein Investor für das Areal interessierte. Das Projekt war sehr umstritten: es gab Anhänger des Parks und der Natur darin, es gab Widerstand von Seiten der Kaufmannschaft, die Konkurrenz durch das Einkaufszentrum befürchtete. Schließlich wurde mit einer Mehrheit im Rat der Verkauf des Geländes an ECE beschlossen, die bis 2006 Einkaufszentrum und Schloss bauten.
2008 kam noch die Quadriga hinzu, finanziert von der Richard Borek Stiftung. Die Reiterstandbilder wurden hierhin versetzt vom Vorplatz des Löwenwalls an der Kurt-Schumacher-Straße, wo sie seit 1970 standen.
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Bildquellen
- [1] Führer durch die Residenzstadt Braunschweig
CC-BY-NC - [2] Karl Schröder: Braunschweig, Schlossbrand von Westen
Gemeinfrei - [3] Photographien vom Herzoglichen Schloss u.a. Bauten pp. zu Braunschweig
CC-BY-NC - [4] Baunschweigs Baudenkmäler. Zweite Serie
CC-BY-NC - [Karte] OpenStreetMap
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