Nationalsozialismus I

Hafenbahn

Der Mittellandkanal ist mit über 300 km Länge eines der größten Wasserstraßenprojekte in Deutschland. Er verbindet den Dortmund-Ems-Kanal im Westen mit dem Elbe-Havel-Kanal im Osten und überquert auf dem Weg sowohl Weser als auch Elbe. Er war kein originäres Projekt des Dritten Reichs: Ideen dafür gab es schon im 19. Jahrhundert, der Bau wurde 1906 im Westen begonnen und war 1916 bis Hannover gekommen. Nach einer zwischenzeitlichen Pause wurde der Kanal weiter vorgetrieben und in Braunschweig ein Hafen gebaut, der 1934 eröffnet wurde. Um einen Frachtumschlag im Hafen zu ermöglichen, war natürlich ein Eisenbahnanschluss notwendig. Dieser wurde von der Strecke vom Hauptbahnhof nach Celle abgezweigt, die auch den damaligen Güterbahnhof (an der Stelle des heutigen Hauptbahnhofs) durchlief.

Zwei Jahre später wurde die Hafenbahn über eine neue Kurve auch mit dem Nordbahnhof der Landeseisenbahn verbunden. Diese wird auch heute (2023) noch genutzt. Die Kohlentransporte zum Heizkraftwerk Mitte laufen hierüber auf das Gleis, das am ehemaligen Nordbahn vorbeiführt: der letzte verbliebene Abschnitt des Ringgleises.

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Umbau der Verkehrswege im Nationalsozialismus

Von tiefgreifender Wirkung für die Verkehrsverhältnisse im Freistaat Braunschweig war die Entscheidung der Nationalsozialisten, diese Region zu einem Zentrum der Kriegswirtschaft zu machen. Neben der allmählichen Umstellung auf Rüstungsgüter in der Stadt Braunschweig im Laufe der 1930er Jahre gehörten dazu zwei Großprojekte: ab 1937 die Reichswerke Hermann Göring auf dem Gebiet des heutigen Salzgitter (Planumgsname war „Hermann-Göring-Stadt“) und das ab 1938 das Volkswagen-Werk in der neu gegründeten Stadt Wolfsburg (zunächst noch „Stadt des KdF-Wagens“).

Rangierbahnhof Braunschweig

Das Projekt der Reichswerke machte anderes vordringlich: einen leistungsfähigen Rangierbahnhof (auch Verschiebebahnhof genannt), der für die im Raum Braunschweig produzierten und auf Eisenbahn-Waggons geladenen Güter die Bildung von Zügen in verschiedene Richtungen ermöglichte. Das gleiche galt natürlich für die Zubringerindustrien. Da zu der Planung der Reichswerke südwestlich von Braunschweig bald die des Volkswagen-Werks nordöstlich folgte, lag es nahe, den Bahnhof in Braunschweig anzulegen. Dort gab es bis dahin den relativ kleinen Rangierbahnhof im sogenannten Rüninger Feld (wo sich heute das Gewerbegebiet um den GLOBUS befindet), außerdem seit der Wende zum 20. Jahrhundert den Ostbahnhof (wo sich heute der Hauptbahnhof befindet) – primär ein Güterbahnhof – sowie den Westbahnhof der Braunschweigischen Landes-Eisenbahn, der bei der Anlage der Ringbahn 1886 entstanden war. Die bestehenden Rangierbahnhöfe waren schon nicht mehr ihren Aufgaben gewachsen gewesen, bevor in den 1930er Jahren die neuen Industriegebiete geplant wurden.

Ähnliches galt aber auch für den Personenverkehr: der Alte Hauptbahnhof südlich des Friedrich-Wilhelm-Platzes galt schon im 19. Jahrhundert als unbequem und nicht den Anforderungen entsprechend. An Forderungen, ihn durch einen Durchgangsbahnhof zu ersetzen, hatte es nicht gefehlt, allein: umgesetzt wurde davon lange nichts. Als möglicher Standort waren mehrere ins Spiel gebracht worden, die meisten davon im Umfeld der heutigen Straße Am Alten Bahnhof, des Messegeländes und der Eisenbütteler Straße. Gemein war ihnen, dass der Bau eines Personenbahnhofs dort eine Lösung der Frage des Rangierbahnhofs erforderte.

Immerhin waren im 20. Jahrhundert einzelne Schritte unternommen worden: nach dem Ersten Weltkrieg begannen Erdarbeiten in dem Gelände südlich der Helmstedter Straße, kamen aber im Laufe der 1920er Jahre nur langsam voran, wohl auch damit zu tun hatte, dass sie als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme angelegt waren. Im Mai 1927 wurde das Reichsbahn-Ausbesserungswerk (RAW) Braunschweig südlich des Ostbahnhofs fertiggestellt. Dessen Gebäude an der Borsigstraße existieren noch heute. Zwischen Ostbahnhof und RAW wurde ein großes Gelände für den künftigen Rangierbahnhof freigelassen.

Mit den aufkommenden Projekten Reichswerke und Volkswagen-Werke bekam der Rangierbahnhof eine neue Dringlichkeit. Da nun eine Verbesserung des Güterverkehrs Vorrang vor dem Personenverkehr bekam, trat ein Neubau des Hauptbahnhofs zurück. Die Arbeiten am Rangierbahnhof wurden 1940 wieder aufgenommen. Inzwischen war der Plan dahingehend geändert worden, dass es sich um einen Gefällebahnhof statt eines zweiseitigen Flachbahnhofs handeln sollte. Das heißt, in dem Gelände musste auf der gesamten Ausdehnung von Westen nach Osten ein Gefälle angelegt werden, durch das dessen Waggons sich allein aufgrund ihrer Schwerkraft fortbewegen konnten. Bis zum Kriegsende war der Rangierbahnhof zu drei Vierteln fertig.

Fallersleben – Braunschweig

Was die Reichswerke südwestlich von Braunschweig, waren die Volkswagen-Werke nordöstlich: Neue Industrie-Anlagen, die in Ortschaften gesetzt wurden, die nur unzureichende Infrastruktur hatten. In der „Stadt des KdF-Wagens“ (später Wolfsburg) gab es zumindest schon den Mittelland-Kanal und die Bahnlinie Berlin – Lehrte, die auch dazu beitrugen, dass Wolfsburg zum Standort einer Fahrzeugproduktion gewählt wurde. Die Verbindung zwischen Wolfsburg und Braunschweig ging aber lediglich über die Schuntertalbahn, die für schweren Güterverkehr nicht konzipiert war und außerdem in Braunschweig in den Nordbahnhof mündete, von dem aus es nur über das Ringgleis weiterging, das ein weiteres Nadelöhr darstellte.

Da mit der Verstaatlichung der Landeseisenbahn die Schuntertalbahn auf die Reichsbahn überging, hatte man zunächst freie Hand, den Nordbahnhof als südlichen Endpunkt der Strecke durch den Hauptbahnhof zu ersetzen, indem man 1938 bei Gliesmarode eine Kurve einfügte, die den (vorher gar nicht vorhandenen) Übergang zwischen der bestehenden Reichsbahnstrecke und der Schuntertalbahn erlaubte. Außerdem bildete diese Kurve auch eine Verbindung zum Rangierbahnhof, der in den nächsten Jahren im Süden der Stadt gebaut wurde, und nach Salzgitter. Gliesmarode erfuhr also eine deutliche Aufwertung: von hier konnte man jetzt nach Fallersleben, Gifhorn und Celle fahren. Und mit der Straßenbahn konnte man schnell in die Innenstadt gelangen.

Der Nordbahnhof andererseits war nun doppelt herabgesetzt: zum einen hörte die Verbindung zur Schuntertalbahn auf; zum anderen begann – wie oben geschildert – der Durchgangsverkehr nach Derneburg nicht mehr hier.

Die Schuntertalbahn wurde optimiert. Ähnlich wie bei der oben geschriebenen Strecke Braunschweig – Derneburg blieb auch hier der Ausbau in einer offenkundigen Zwischenlösung stecken: dem nördlichen Abschnitt zwischen Fallersleben und Groß Brunsrode, der geradlinig verlief, stand der südliche Abschnitt gegenüber, der kurvenreich um die Dörfer verlief. In Fallersleben lief die Trasse nun von Westen her ein, so dass durchgehende Züge weiter nach Wolfsburg und Berlin möglich wurden. Der Bahnhof Fallersleben BLE wurde geschlossen. Ab 1941 (bzw. 1942 im Personenverkehr) wurde der Verkehr hauptsächlich über die neue Trasse geleitet, obwohl die alte noch eine Weile erhalten blieb. Tatsächlich gab es sogar noch hochfliegendere Ideen: nach Norden sollte die Strecke über Wittingen bis nach Hamburg verlängert werden. Dazu ist es nie gekommen.

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