Rund zweieinhalb Kilometer Luftlinie sind es von der Burg bis zum Haupteingang des Hauptfriedhofs. Aus wenigen Teilen der Braunschweiger Kernstadt ist der Hauptfriedhof bequem zu Fuß zu erreichen. Offenbar hat man den Tod weit aus dem Innenstadt-Leben verdrängt.
Das war im Mittelalter völlig anders. Der Weg zum Sonntagsgottesdienst führte an allen Innenstadtkirchen durch einen Kirchhof, also einen direkt an der jeweiligen Kirche gelegenen Friedhof. Tote wurden an der Kirche begraben, zu deren Gemeinde sie gehörten. Ausnahmen waren Fremde, Dienstboten und Arme – für sie gab es schon früh Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern.
Im 18. Jahrhundert änderte sich das. Zum einen bestanden nun hygienische Bedenken gegen Friedhöfe mitten in der Innenstadt. Zum anderen begannen diese auch Verkehrshindernisse zu werden. Man muss sich vorstellen, dass der Kirchhof der Martinikirche durch eine Mauer begrenzt wurde, die die Sonnenstraße auf eine schmale Durchfahrt reduzierte. Ähnlich verhielt es sich mit der Straße vom Radeklint zum Sack.
So wurden ab Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern angelegt und die alten Kirchhöfe aufgehoben. Ab 1772 wurde nur noch selten auf den Stadtkirchhöfen begraben, ab 1797 gar nicht mehr. Heutzutage ahnt man deren Existenz kaum noch. Bemerkenswert ist, dass die neuen Friedhöfe immer noch den Kirchengemeinden zugeordnet waren – deshalb gab es davon eine ganze Reihe, die sich mehrheitlich im Westen und Norden in ungefähr gleichem Abstand zum Umflutgraben aufreihen und die bis heute als Parkanlagen weiterleben.
1887 wurde schließlich der Hauptfriedhof an der Helmstedter Straße eröffnet, der alle protestantischen Friedhöfe auf dem damaligen Stadtgebiet ablöste. 1895 bzw. 1902 folgten der Jüdische bzw. Katholische Friedhof ebenfalls an der Helmstedter Straße. Mit Eröffnung dieser Friedhöfe wurden die kleineren älteren geschlossen und nur noch dort reservierte Grabstellen und Grabstellen von Ehegatten von bereits Beigesetzten belegt.
Katharinenstraße
Die Geschichte dieses Geländes an der Katharinenstraße ist etwas kompliziert, denn ursprünglich gab es hier drei unabhängige Friedhöfe. Erstmals 1706 erwähnt, wurde der Kirchhof der Katharinenkirche mehrmals erweitert.
Ab 1713 gab es zwei Friedhöfe der Garnison (Kirche der Garnison war ab 1717 die Ägidienkirche) vor den Toren: den einen im Süden vor dem Augusttor, den anderen hier in direkter Nachbarschaft zum Friedhof der Katharinenkirche. Heute ist dies der Parkteil an der Ecke zur Pockelsstraße. Genutzt wurde er nach der Eröffnung des Hauptfriedhofs – anders als die meisten anderen – bis ins 20. Jahrhundert hinein. Auf ihm befinden sind noch heute Kriegsgräber aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg: sowohl von Kriegsgefangenen als auch von über hundert deutschen Soldaten, die aus den Kriegsgebieten hierhin überführt wurden. Nach dem Kriegsgräbergesetz, das dazu dient, „der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in besonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wach zu halten, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben“, haben die hier bestatteten Personen ein dauerhaftes Ruherecht, d. h. sie dürfen nur in Ausnahmefällen umgebettet werden.
Der Teil des heutigen Parkgeländes nördlich des quer verlaufenden Wegs (also bis zum Rebenring) gehörte dagegen ursprünglich der Andreaskirche, die ihn seit 1721 nutzte. Die meisten Gräber hier sind eingeebnet worden.
Auf einem großen Teil des ehemals insgesamt fast 2 ha großen Friedhofs wurde 1961 die Mensa der TU und ein AStA-Gebäude gebaut. Der Rest ist ein beschaulicher, schattiger Park. Die heutige Gestalt hat er auch einer Sanierung im Jahr 2011 zu verdanken.
Hamburger Straße
An der Ecke Hamburger Straße/Ring wurde 1802 ein Friedhof von der Katharinenkirche angelegt, die ihr Areal an der Katharinenstraße voll belegt hatte. Die Andreaskirche folgte 1841 mit einem eigenen Friedhof in unmittelbarer Nachbarschaft, nachdem sie ihr Gelände am Rebenring ausgeschöpft hatte. Nun hatten also beide Gemeinde jeweils Friedhöfe an zwei verschiedenen Orten, so dass sie sich 1862 einigten, einen Tausch zu betreiben: Die Andreaskirche bekam das vollständige Gelände an der Hamburger Straße, dagegen übernahm die Katharinenkirche das vollständige Areal zwischen Rebenring und Katharinenstraße.
Der Andreasfriedhof ist heute nicht mehr öffentlich zugänglich. Das Gelände ist gegenüber dem Umland erhöht und durch eine Mauer getrennt. Ein Teil des Geländes wurde mit zwei Kindergärten bebaut: dem Kindergarten Hasenwinkel der Lebenshilfe und dem Kindergarten St. Andreas.
Rennelbergstraße
Um 1230 wurde das Kreuzkloster an der Rennelbergstraße gegründet, ein Frauenkloster, das wohl zunächst zum Benediktiner-, später zum Zisterzienser-Orden gehörte. Als die Klosterdomäne im 19. Jahrhundert aufgehoben wurde, entstand auf einem Teil des Geländes das heute noch dort stehende Gefängnis.
Das heute vor allem von der Freisestraße aus einzusehende Friedhofsgelände wurde vom Kloster genutzt, teilweise aber auch von der Petrigemeinde.
Goslarsche Straße 40
Die Gemeinde der Petrikirche hatte 1725 einen Friedhof am Bruderstieg (der zu diese Zeit in die Goslarsche Straße mündete), der aber schon 1757 wieder außer Benutzung gesetzt wurde, weil sich offenbar anbahnte, dass die Fläche hier für den Ausbau der Heerstraße benötigt würde. Als Ersatz wurde im gleichen Jahr ein Grundstück an der Goslarschen Straße als Friedhof angelegt und 1807 sowie 1856 vergrößert.
Was hier vor allem auffällt, ist die extrem langgestreckte Form des Grundstücks. Sehr viele der Grabplatten sind bis heute erhalten.
Auf der Informationstafel nahe dem Eingang ist der Name Konrad Koch als Lehrer am Martino-Katharineum angegeben, der hier begraben sein soll. Der Name mag einem bekannt vorkommen: den Namen trägt auch der Lehrer, der 1874 das Fußballspiel nach Deutschland brachte und nach dem ein Einkaufszentrum am Sack benannt ist. Der lebte allerdings anders als hier angegeben 1846 – 1911. Bei dem hier beigesetzten wird es sich also um seinen weniger prominenten Vater gehandelt haben. Eine Verwechslung der Stadt, als sie die Informationstafel erstellen ließ? Man weiß es nicht.
Goslarsche Straße 10
Dieses Grundstück wurde ab 1712 von der Gemeinde der Martinikirche genutzt und 1767 erweitert. Im Gegensatz zu dem der Petrikirche ist es fast quadratisch. Auch ist der Park sehr licht, und wenige Gräber sind erhalten. Auf einem Teil des Geländes steht heute ein Kindergarten.
Juliusstraße
Der Reformierten Gemeinde wurde 1708 die Bartholomäuskirche zugewiesen, die in den Jahren davor als Zeughaus gedient hatte. Die Gemeinde legte 1749 einen Friedhof an der Juliusstraße an, die damals noch Goslarsche Straße hieß.
Die Brüderngemeinde eröffnete ihren Friedhof 1744 direkt daneben. Ein weiteres Gelände hundert Meter weiter an der Broitzemer Straße wurde 1769 erworben, das 1848 überfüllt war und deswegen erweitert wurde. Seit 2007 befindet sich auf dem Friedhofsgelände ein Hospiz.
Das alte Gelände an der Juliusstraße wurde 1848 an die Reformierte Gemeinde verkauft.
Hugo-Luther-Straße
An seltsam weit von der Innenstadt liegender Stelle befand sich der Friedhof der Michaelis-Gemeinde: 1775 wurde er an der damals noch Weststraße genannten Straße angelegt und 1753, 1873 sowie 1880 erweitert.
Was die Fläche angeht, ist das Grundstück überschaubar. Inzwischen wurde es mit einem Kindergarten bebaut. Man kann hier fast ein System vermuten: auch auf Teilflächen des Andreas-Kirchhofs und des Martini-Kirchhofs wurden Kindergärten errichtet.
Ottmerstraße
Die Magnigemeinde unterhielt schon 1675 einen Kirchhof vor dem Augusttor, der aber später geschlossen wurde. Auf dem an der Ottmerstraße wurde spätestens 1720 beerdigt. Später wurde er erweitert. Von allen in der Außenstadt angelegten Friedhöfen hat er die größte Prominenz: Lessing wurde hier nach seinem Tod 1781 begraben. Sein Grab wurde allerdings erst einmal wieder vergessen. Erst 1833 wurde es von dem Kunsthistoriker Carl Schiller wieder ausfindig gemacht, der auch hier begraben liegt.
Weiterhin findet man hier die Gräber von Peter Joseph Krahe sowie Peter Wilhelm Friedrich von Voigtländer. In einer großen Gruppe arrangiert sind die Grabstätten von Mitgliedern der Verlegerfamilien Campe und Vieweg. Ursprünglich befanden sich diese auf einem Privatgrundstück mit Villa, von dem ein Teil jetzt eine Parkanlage unter dem Namen Viewegs Garten ist. Als in den 1950er Jahren der Hauptbahnhof verlegt und damit einhergehend die Kurt-Schumacher-Straße gebaut wurde, für die ein Teil des Parks geopfert wurde, wurden die dort befindlichen Gräber verlegt.
Für das Hofpersonal des Herzogtums wurde 1729 ein Friedhof in der Nachbarschaft angelegt, nämlich an der heutigen Gerstäckerstraße. Der Hof war keiner der Pfarrgemeinden der Innenstadt zugeordnet, sondern der Schlosskapelle (der Herzog war zu dieser Zeit noch nicht von Wolfenbüttel nach Braunschweig umgezogen, das Schloss war noch in Bau, aber die Schlosskapelle existierte schon).
Für den Dom wurde 1758 ein Kirchhof direkt östlich davon eingerichtet. 1783 wurden schließlich beide zusammengefasst. Immer noch getrennt blieb der Domfriedhof von dem benachbarten Magnifriedhof – beide für sich wurden sogar noch jeweils vergrößert.
Die Kapelle im neoromanischen Stil wurde übrigens 1900 gebaut. Sie gehört heute der griechisch-orthodoxen Gemeinde und ist dem Heiligen Demetrios geweiht.
Hochstraße
Nach der Reformation dauerte es bis 1712, dass wieder eine katholische Kirche eingeweiht wurde: die Nikolaikirche hinter dem Schloss (was damit zu tun hatte, dass Herzog Anton Ulrich zur katholischen Konfession übergetreten war). Von der Nikolaikirche ist im Zweiten Weltkrieg nur das Portal übriggeblieben.
Auch an dieser Kirche wurde zunächst ein Kirchhof angelegt, der 1750 erweitert wurde. Im Vergleich zu den anderen Kirchen beerdigte man erst relativ spät, 1797, außerhalb der Stadtmauern, nämlich auf dem Giersberg. Weil der Giersberg die höchste Erhebung in Innenstadtnähe ist, wurde ebenfalls auf dem Giersburg 1901 der Wasserturm gebaut, der noch heute eine Landmarke bildet. Im gleichen Jahr war der Friedhof auch soweit belegt, dass man ihn schloss. Neben dem Hauptfriedhof an der Helmstedter Straße (östlich des Brodwegs) wurde nun ein katholischer Friedhof angelegt.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Friedhof genutzt für Zwangsarbeiter, Gefangene und Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Über 100 Säuglinge aus einem Entbindungsheim an der Broitzemer Straße, die unter entwürdigenden Bedingungen zur Welt kamen und oft kaum ein paar Wochen überlebten, wurden hier verscharrt. Deshalb ist hier seit 2001 eine Gedenkstätte.
Jüdischer Friedhof Hamburger Straße
Dass Friedhöfe immer einer Pfarrgemeinde zugeordnet waren, hat natürlich zur Folge, dass Personen nicht-christlichen Glaubens aus diesem System ausgeschlossen waren. Das trifft vor allem auf Juden zu.
Juden gab es seit dem 13. Jahrhundert in Braunschweig. Sie hatten schon zu der Zeit eine Sonderstellung: gegen Geldzahlung bekamen wurden sie unter den Schutz des Herzogs gestellt. Vor Diskriminierung schützte sie dies jedoch keineswegs dauerhaft.
Nach der Reformation wurden Juden 1546 gänzlich aus der Stadt vertrieben. Der erste Jude, der wieder dauerhaft in Braunschweig wohnte, war der Kammeragent Alexander David, der 1707 aus Halberstadt übersiedelte. David wurde Hoflieferant und später Hofbankier und stand als solcher unter dem Schutz des Herzogs. Obwohl es noch zu seinen Lebzeiten einige jüdische Familien in Braunschweig gab, war ihnen keine Synagoge und kein Friedhof zugestanden. David selbst wurde in Halberstadt beigesetzt.
Erst 1797 durfte schließlich der Friedhof an der Hamburger Straße – anderthalb Kilometer vor den Toren der Stadt – angelegt werden. Inzwischen liegt er eigentümlich eingerahmt von Hamburger Straße, Wasserwelt und Parkplatz der Wasserwelt.