In Braunschweig gab es im Mittelalter fünf Rathäuser: Altstadt, Altewiek, Hagen, Neustadt und Sack waren die fünf Weichbilde, die zusammen die Stadt bildeten und jeweils einen eigenen Rat hatten. Der Gesamtrat der Stadt setzte sich u. a. aus diesen Weichbildräten zusammen. Die Weichbildräte wurden bei der Eroberung der Stadt durch die Herzöge 1671 aufgelöst, und die Rathäuser in der Folgezeit teils abgebrochen, teils umgenutzt.

Als das Rathaus des wohlhabendsten Weichbildes war das der Altstadt das größte und am aufwendigsten gestaltete. Was heute noch beeindruckt, ist das stilistische Zusammenspiel mit der gegenüberliegenden Martini-Kirche, mit dem zusammen es den Altstadtmarkt nach Westen abschließt. Das Ensemble, das so aus einem Guss wirkt, war ursprünglich nicht als Ganzes so geplant. Das Rathaus entstand in mehreren Phasen: bis Mitte des 13. Jahrhunderts der Westflügel, im 14. Jahrhundert ein quadratischer Anbau, der jetzt das „Scharnier“ zwischen West- und Nordflügel bildet, und schließlich der Nordflügel Mitte des 14. Jahrhunderts. Erst im 15. Jahrhundert danach wurden die Lauben ergänzt. Zu dieser Zeit entstanden auch die Herrscherfiguren mit ihren Ehefrauen: am Westflügel Heinrich I., Otto I., Otto II., Otto III., allesamt Kaiser des HRR und deshalb mit Krone, Reichsapfel und Zepter…
…am Nordflügel die Welfen Otto IV., Heinrich den Löwen, Wilhelm von Lüneburg und Otto das Kind, die bis auf den Kaiser Otto IV. ein Schwert tragen – die Frauen dazu fesche Hauben.
In der Mitte steht Kaiser Lothar III. (unter seiner Herrschaft wurde der Dom in Königslutter gebaut, in dem er begraben ist). Für seine Frau war hier in der Ecke kein Platz.

Wie man auf alten Darstellungen sieht, hatten die Gebäudeflügel bis ins 19. Jahrhundert hinein noch unterschiedliche Höhen.
Heutzutage findet man im Altstadtrathaus das von Hermann Meyer zwischen 1878 und 1887 gebaute Stadtmodell, an dem man einen möglichen Zustand der Stadt im Jahr 1671 entsprochen haben könnte – ein Meisterwerk, obwohl oder gerade weil viel Fantasie darin steckt, eine Stadt plastisch zu gestalten, von der nicht viele Details überliefert sind! Dazu gehört eine kleine Ausstellungsfläche, die dem Städtischen Museum zugeordnet, aber kostenlos zugänglich ist. Außerdem gibt es manchmal Sonderausstellungen zu Braunschweig-bezogenen Themen. In der Dornse finden gelegentlich Konzerte im kleineren Rahmen statt.
Im Norden schließt sich das Stechinelli-Haus an. Stechinelli – eigentlich Francesco Capellini – wurde im Alter von fünfzehn Jahren von Georg Wilhelm, zu der Zeit Fürst von Calenberg (mit Sitz in Hannover) nach Deutschland gebracht und machte hier eine sensationelle Karriere. Das ursprünglich 1630 errichtete Gebäude ließ er umgestalten.

Soweit die Fakten – die Legende ist allerdings deutlich abenteuerlicher. Die (später gestaltete) Skulptur an der Ecke soll ihn mit einem Bettelhut darstellen, um den Aufstieg noch atemberaubender erscheinen zu lassen. Eine andere Legende besagt, dass er dem Herzog in Venedig das Leben gerettet haben soll. Ob man beide Legenden oder keine davon glaubt, ist einem natürlich selbst überlassen.

Das Haus, das wir hier sehen, ist eine Rekonstruktion nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Ebenfalls barock ist das Haus zu den Sieben Türmen auf der Ostseite. Der Legende nach sollen die sieben Türme an ein Gefängnis in Konstantinopel erinnern, in dem der Erbauer des Vorgängerhauses (ein Gefährte Heinrichs des Löwen) bei einem Kreuzzug eingesessen haben soll. Die Darstellung ist natürlich zeitgemäß aktualisiert, denn die auf den Islam hindeutenden Halbmonde hat es im mittelalterlichen Konstantinopel sicher nicht gegeben.

Der aufwendig gestaltete Brunnen in der Mitte des Altstadtmarkts stammt ursprünglich aus dem Jahr 1408. Er diente nicht nur der Zier, sondern tatsächlich auch der Wasserversorgung. Vom 2 km entfernten Jödebrunnen wurde das Wasser über Rohre – sogenannte Pipen – hierhin geleitet. Der Höhenunterschied sorgte für den notwendigen Wasserdruck. Was wir heute hier sehen, ist ein Nachbau nach Abdrücken und Fotos – das Original ist im Zweiten Weltkrieg innerhalb einer in Brand geratenen Holzkleidung geschmolzen.

Das langgestreckte Gebäude auf der Südseite des Platzes ist das Gewandhaus, das historisch aber nie so zu erblicken war. Die ganze Front war bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg von schmalen Fachwerkhäusern verdeckt [1].

Um den vorherigen Eindruck zumindest anzudeuten, hat man Ende der 1950er Jahre ein Zollhaus aus Rüningen, das ursprünglich aus dem Jahr 1643 stammt, hierhin versetzt.

Auch das prachtvolle Portal ist im Grunde Fake: die Apotheke am Hagenmarkt wurde im Krieg zerstört, und nur das relativ unbeschädigte Portal war erhaltenswert. Da der Hagenmarkt als Ganzes nur sehr langsam und schlicht wiederaufgebaut wurde, fand das Portal seinen Weg hierhin.

Die Schaufassaden des Gewandhauses sind vom Altstadtmarkt gar nicht sichtbar: die aufwendig gestaltete Ostfassade von 1590…

…musste nach dem Krieg mit viel Aufwand rekonstruiert werden. Die hier sichtbaren Gesichter wurden teils fantasievoll ersetzt, z. B. mit dem Konterfei Picassos. Die Westseite ist fast zur gleichen Zeit entstanden, aber schlichter. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Haus zur Rose am Kohlmarkt drängt sich auf.

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Bildquellen
- [1] Altstadtmarkt 1886
Gemeinfrei - [2, Karte] OpenStreetMap
OpenStreetMap-Mitwirkende
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