Niedergang

Nebenbahnen

Die Phase zwischen den Weltkriegen kann man als den geschichtlichen Höhepunkt der Eisenbahn betrachten. Selbst viele Dörfer waren in dieser Zeit an die Bahn angebunden, wenn auch oft die Bahnhöfe in großer Entfernung lagen und die Fahrpläne überschaubar waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte aber ein allgemeiner Niedergang ein. Dieser hatte verschiedene Gründe.

Für einen wachsenden Anteil der Bevölkerung wurde wurde ab den 1950er Jahren ein Auto erschwinglich. Das führte zu sinkenden Fahrgastzahlen im Personenverkehr, was wiederum die Einnahmen der Bahnen verringerte und allmählich verlustträchtig machte.

Im Güterverkehr verschwanden durch Schließung von Bergwerken und Steinbrüchen verlässliche Kunden. Für freiwerdende Kapazitäten gab es keine Kompensation, denn auch der allgemeine Güterverkehr wechselte allmählich auf die Straße. Im Braunschweiger Land wurden reihenweise Zuckerfabriken geschlossen, die lange Zeit tragende Kunden gewesen waren. Heute gibt es einzig noch die Fabrik in Schladen, die Teil von Nordzucker ist, das in Norddeutschland quasi eine Monopolstellung hat.

Ein weiterer Effekt für Braunschweig war nach dem Krieg die Randlage innerhalb Westdeutschlands, die zur Unterbrechung mehrerer Schienenwege führte.

Braunschweig-Schöninger Eisenbahn

Für die BSE war die deutsche Teilung der erste schwere Schlag: sowohl Schöningen als auch Mattierzoll lagen nun in Randlage in Westdeutschland, die Verbindungen zu Oschersleben und Heudeber waren unterbrochen. Der Personenverkehr – ohnehin ein ungeliebtes Anhängsel des Unternehmens – endete schon auf der Strecke nach Mattierzoll schon im Juli 1850, auf der nach Schöningen im Oktober 1954. Der Personenverkehr wurde mittels Bussen abgewickelt, die flexibel bis in die Dorfkerne fahren konnten, während die Bahnhöfe oft weitab der Besiedlung standen.

Im Güterverkehr verschwanden Kunden im Laufe dreier Jahrzehnte: Schließung der Zuckerfabrik in Rautheim 1941, in Salzdahlum 1957 (wegen Fusion mit der in Fallersleben); Beendigung der Förderung in der Asse 1964, Schließung der Saline in Schöningen 1970. Schon im Jahr davor war das Kalkwerk in Hemkenrode dazu übergegangen, seine Transporte auf die Straße zu verlagern.

Damit war ein kostendeckender Betrieb nicht mehr zu leisten. Im Juni 1971 fuhr der letzte Zug der BSE. Die Gleise wurden seitdem fast vollständig abgebaut. Ein kleinen Teil wurde noch einmal reaktiviert, um den Transport mit radioaktivem Abfall und Abraum nach Wittmar zu ermöglichen, mit dem das bekannte Asse-Bergwerk verfüllt wurde. Sporadisch fährt noch der „Assebummler“ von Braunschweig über Wolfenbüttel nach Wittmar, ein Dampfzug für Familienausflüge.

Karte (Überbleibsel)

Ehemalige Braunschweigische Landeseisenbahn

Der Stammstrecke der ehemaligen (1938 verstaatlichten) Landeseisenbahn erging es ähnlich. Der Personenverkehr zwischen Wolfenbüttel und Drütte wurde im Oktober 1959 eingestellt, auf dem Abschnitt Lebenstedt – Derneburg im Juni 1984, auf dem Abschnitt Derneburg – Seesen im Mai 1990. Ausgerechnet der 1954 eröffnete Abschnitt in Salzgitter wird immer noch (2023) von Personenzügen befahren: es gibt eine Regionalbahn von Braunschweig Hbf über Thiede, Immendorf und Watenstedt nach Lebenstedt.

Die Einstellung des Güterverkehrs kam zeitversetzt und hing zeitlich auch damit zusammen, wann jeweils Güterkunden wegfielen. Schon in den 1920er Jahren war das Kaliwerk Carlsfund an der Strecke Derneburg – Seesen erschöpft. Die Ziegelei in Thiede wurde 1972 stillgelegt. Damit war die Strecke zwischen Thiede und Drütte überflüssig. Im September 1975 folgte der Abschnitt zwischen Hoheweg und Wolfenbüttel West. So ging es scheibchenweise weiter: Mit Ablauf des Jahres 1995 gab die Bundesbahn den letzten verbliebenen Güterverkehr auf. Der Stummel zwischen Derneburg und Bornum ist heute in privater Hand: die Firma HAW stattet Kesselwagen mit Korrisionsschutz aus und ist deswegen darauf angewiesen, diese bis an ihren Standort in Bornum angeliefert zu bekommen.

Karte (Überbleibsel)

Die Ringbahn

Die Ringbahn ist einen langsamen Tod gestorben. 1972 war der Zeitpunkt, zu dem die Strecke de fakto in zwei Hälften geschnitten wurde: die Okerbrücke wurde für Züge gesperrt, so dass es nur noch den Verkehr zwischen Heizkraftwerk und Nordkurve einerseits und Hauptbahn – Westbahnhof bis kurz hinter der Celler Straße andererseits gab. Die eine Hälfte ist im Prinzip bis heute im Betrieb: es gibt sporadisch Verkehr zwischen Hafen und Heizkraftwerk. Die andere Hälfte wurde abschnittsweise stillgelegt: Im Mai 1992 der Teil zwischen Westbahnhof und Lehndorf, im Dezember 1997 der Rest zwischen Rangierbahnhof und Westbahnhof.

Übrig geblieben ist heute (2023) noch ein Gleis vom Hafen über den Nordbahnhof bis zum Heizkraftwerk. In den letzten Jahren wurde dieses genutzt, um sporadisch Kohle zum Kraftwerk zu liefern. Gelegentlich fuhr auch eine Lok mit einem einzelnen Kesselwagen hier durch, der mit Ammoniak für die Rauchgasentschwefelung gefüllt war.

Schuntertalbahn

Wie wir gesehen haben, war der nördliche Teil dieser Strecke zwischen Lehre und Fallersleben während der 1940er durch eine geradlinigere Trassenführung obsolet geworden. Nur für den Güterverkehr blieb die alte Trasse Lehre – Brunsrode-Flechtorg – Ehmen – Fallersleben noch eine Weile erhalten und wurde abschnittweise bis 1975 stillgelegt. Das Kalibergwerk Ehmen war schon 1925 geschlossen worden.

Der Teil zwischen Braunschweig und Lehre blieb noch bis 1998 mit der gleichen Trasse wie bei seiner Eröffnung bis 1998 erhalten (auf die Zeit danach werde ich in einem eigenen Kapitel zurückkommen). Für den Personenverkehr wurde er insofern „verschlankt“, dass alle Zwischenhalte zwischen Gliesmarode West (ab 1960 Braunschweig Ost genannt) und Lehre aufgegeben wurden.

Wolfenbüttel – Oschersleben

Wie auf früheren Seiten geschildert beinhaltete die erste Verbindung zwischen Köln und Berlin das Teilstück zwischen Braunschweig und Magdeburg, das über Wolfenbüttel und Oschersleben verlief. Durch den Bau der kürzeren Berlin-Lehrter Bahn 1871 büßte diese Strecke viel von seiner Bedeutung für die Verbindung nach Berlin ein. Durch den Bau der Strecke Braunschweig – Magdeburg über Helmstedt wurde auch dieser spezielle Abschnitt deutlich abgekürzt. Die ursprüngliche Strecke blieb aber weiter bestehen und war relevant für den Güterverkehr.

Das änderte sich jäh mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit der Etablierung der Grenze zwischen britischer und sowjetischer Besatzungszone wurde schon im Juli 1945 auch der Zugverkehr zwischen Jerxheim im Westen und Gunsleben im Osten unterbrochen. Die Gleise wurden in den nächsten Jahren abgebaut – offenbar hatte man keine Hoffnung, dass die Strecke bei einer baldigen Wiedervereinigung wieder relevant würde. Was nun noch von der einstigen Strecke blieb, war die Trasse Wolfenbüttel – Jerxheim (über Schöppenstedt), die mit den ergänzenden Abschnitten Braunschweig – Wolfenbüttel und Jerxheim – Helmstedt (über Schöningen) zu einer Regionalverbindung verknüpft wurden. Diese blieb tatsächlich sehr lange erhalten: erst 2007 wurde die Hälfte davon aufgegeben. Seither gibt es nur noch eine Regionalbahn von Braunschweig nach Schöppenstedt über Wolfenbüttel und Dettum. Schöningen – eine Stadt mit immerhin über 11.000 Einwohnern – ist seitdem ohne jeden Bahnhof.

Karte (Überbleibsel)

Der Abschnitt zwischen Schöppenstedt und Schöningen ist nicht irreversibel verloren – er könnte immer noch reaktiviert oder zu einem Radweg umgebaut werden.

Zwischen Schöppenstedt und Watzum
Zwischen Watzum und Warle

Salzgitter-Bad – Börßum – Jerxheim

Mit der Unterbrechung wurde aber auch die Relevanz der Anbindung an die einstige Braunschweiger Südbahn über Börßum – Jerxheim untergraben. Die folgende Entwicklung verlief hier ähnlich wie an anderen Eisenbahn-Strecken: Ab November 1954 fuhren nur noch Schienenbusse. Zehn Jahre später begann man, das zweite Gleis zu demontieren. Dann wurde der Sonntagsverkehr eingestellt, ein Teil der Strecke blieb zum Gütertransport. Mit der Aufgabe des letzten Güterkunden kommt schließlich das Ende für die ganze Strecke – nämlich im Mai 1988.

Die im Westen anschließende Trasse Salzgitter-Bad – Börßum wird nach dem parallel verlaufenden Flüsschen als Warnetalbahn bezeichnet. Sie wurde – wie auf einer vorherigen Seite beschrieben – mit der Eröffnung der Neutrassierung Leiferde – Salzgitter-Bad 1956 obsolet. Es dauerte noch einige Jahre, bis erst das zweite Gleis abgebaut, dann der Personenverkehr und schließlich im Mai 1988 der komplette Betrieb eingestellt wurde. Ganz tot ist die Trasse jedoch nicht. Sie wurde auch danach noch sporadisch für Holztransport und für eine Museumseisenbahn genutzt.

Braunschweig – Celle

Die Strecke nach Celle, erst im März 1923 vollständig eröffnet, ist eine der kurzlebigsten im Braunschweiger Land. Anders als bei BLE und BSE gab es wenig Großkunden im Güterverkehr – Ein Großteil der Ladung kam aus in diesem Raum produzierten landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Schon im Mai 1962 wurde der Personenverkehr zwischen Braunschweig und Plockhorst, neun Jahre später zwischen Plockhorst und Celle aufgegeben. In punkto Güter wurde der Verkehr über einen längeren Zeitraum jeweils abschnittsweise eingestellt. Bis 1996 waren die Gleisanlagen weitgehend abgebaut. Heute liegt immer noch ein Gleis zwischen Braunschweig und Harvesse (etwas nördlich von Wendeburg). Zumindest zeitweise wurde dieses noch in den 2020er Jahren vom VW-Logistikzentrum in Harvesse genutzt.

Karte (vor Stilllegung)

Braunschweig – Oebisfelde

Die Strecke, die in Schandelah von der nach Helmstedt abzweigt, stand 1945 vor dem gleichen Problem wie die nach Oschersleben: der Verkehr in die sowjetische Besatzungszone wurde eingestellt, so dass in Velpke Schluss war. In den 1950er Jahren gab es die originelle Idee, von dort zur Berlin-Lehrter Bahnstrecke zu legen. Dadurch wurde ein Ringverkehr möglich, bei dem der Zug weiter über Wolfsburg und Fallersleben und dann über die Schuntertalbahn nach Braunschweig zurückkehren konnte. Dennoch wurde im September 1975 der Personenverkehr eingestellt. Abschnittsweis folgte die Einstellung des Güterverkehrs. Nach dem Mai 1992 wurde die Strecke endgültig aufgegeben.

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