Während des Zweiten Weltkriegs wurden 90 % der Braunschweiger Innenstadt zerstört. Was im Krieg nicht zerstört wurde, waren Bunker in der Innenstadt und außerhalb. Jahrzehntelang bildeten sie Fixpunkte der Erinnerung an das Dritte Reich, aber inzwischen verschwinden sie mehr und mehr aus dem Stadtbild, teilweise durch Abriss, teilweise durch Umnutzung. Wenn man genau hinschaut, kann man sie ihre Spuren entdecken.
Nicht weit von meinem ersten Braunschweiger Wohnort in der Okerstraße lag ein 76 m langer Bunker, der (nominell) fast 1000 Personen Platz bot. Er gehörte zu den ersten Bunkern, die 1940 gebaut wurden. Neben den Eingängen von der Okerstraße her gab es zwei Zugänge über Brücken über den Neustadtmühlengraben.
Das Wohnhaus, für das der einstige Bunker das Fundament bildet, wurde 1952 gebaut. Es war das erste Wohnhochhaus in der Innenstadt. Die Sicht von den oberen Balkonen muss eigentlich eine der besten in der Stadt sein – seltsamerweise sieht man aber selten Menschen dort.

Ebenfalls zu den ersten gebauten Bunkern gehört der unweit an der Ecke Celler Straße/Petritorwall gelegene. Eingeschossig war er für lediglich 208 Personen ausgelegt.
Nach dem Krieg wurde er als Flüchtlingsunterkunft genutzt, ehe er 1951 überbaut wurde. Dadurch ist er beinahe unsichtbar, wenn man nicht bewusst hinschaut.
Von der Kaiserstraße ein Stück zurückgesetzt liegt der Bunker Rehnstoben, nach einer kurzen Straße, die nach dem Krieg aufgehoben wurde, nachdem die Gebäude hier und am ebenfalls nicht mehr vorhandenen Nickelnkulk vollständig zerstört wurden. Mittels einer noch vorhandenen Brücke konnte man ihn auch vom Inselwall aus erreichen.
Heute wird der Bunker ebenso wie das umliegende Gelände von der Lebenshilfe genutzt, und der Bunker hat Fenster bekommen. Seine ursprüngliche Funktion kann man an der dicken Decke über den oberen Fenstern erahnen, aber auch der zylinderförmige Gebäudeteil ist typisch für Hochbunker.

Direkt an der Kaiserstraße befindet sich ein Bunker, der als einer der bisher letzten – nämlich 2021 – in ein Wohnhaus umgewandelt wurde.

Ein kleinerer Bunker der Neustadt – benannt nach der Alten Waage – ist von der Straße aus gar nicht mehr sichtbar: er liegt zwischen Weberstraße und Langer Straße und sollte nach seinem Bau 1941-42 Platz für 250 Personen (also einer relativ geringen Zahl) bieten. In den 1970er Jahren wurde er zum Katastrophenschutzbunker umgebaut. Sein Dach ist Teil des Schulhofs der Otto-Bennemann-Schule.

An der Bockstwete wurde 1941/42 ein Bunker für 750 Personen errichtet. Nach dem Krieg wurde hier eine Unterkunft mit dem nobel klingenden Namen Hotel Central eingerichtet. Erst in den 1960er Jahren wurde es geschlossen.
Es mag einem als seltsame Idee erscheinen, gerade in einem solchen Gebäude ein Hotel zu betreiben. Dabei muss man sehen, dass der Großteil der Häuser in der Innenstadt nach den Kriegszerstörungen nicht mehr bewohnbar war und jede sich bietende Option genutzt werden musste.

Von dieser Seite aus deutet neben der Decke der Dacheinstieg auf die Rolle als Bunker hin. Teilweise wurden solche Einstiege zur schnelleren Belegung genutzt. Sie waren aber auch ein Mittel einer schnellen Belüftung, wenn es (noch) keine maschinelle Belüftung gab.
Von der Südseite gibt er sich der Betonbau klarer zu erkennen.

Mitten in der Einkaufsstraße lag der Bunker am Sack. Nach dem Krieg gab es hier die Bar Tabu, später die Diskothek Beat Club, die 2007 schloss. Schließlich wurde der Bau weitgehend abgetragen und stattdessen ein Bekleidungsgeschäft mit großflächigen Glasflächen gebaut. Den einstigen Bunker erkennt man aber immer noch: an der Nordseite ist die dicke Betonwand stehengeblieben, wahrscheinlich, weil man andernfalls auch das Nachbarhaus beschädigt hätte. An der Höhe der Wand kann man die Höhe des einstigen Bunkers ablesen.

Eine Sonderrolle hat der Polizeibunker zwischen Münzstraße und Bohlweg. Für 450 Personen ausgelegt, war das Tiefgeschoss für die Zivilbevölkerung gedacht, die beiden anderen Geschosse für die Führung der Polizei, der Luftschutzpolizei und der NSDAP.
Auf den eigentlichen Bunker wurden 1942 noch zwei gewöhnliche Geschosse mit Backsteinfassade aufgesetzt. Neben den Fensteröffnungen, die ab 1947 in den Bunker gesprengt wurden, trägt das dazu bei, dass sich zumindest die dem Platz der Deutschen Einheit zugewandte Gebäudeseite recht gut in die Umgebung eingliedert. Auf dem Hinterhof bietet sich ein etwas anderes Bild.

Zu den späteren Bauten gehört der 1944 fertiggestellte Bunker in der Ritterstraße im Magniviertel. Er sollte 840 Personen Platz bieten. Zu dieser Zeit hatten sich die Vorgaben an den Bau schon dahingehend weiterentwickelt, dass er 1000 kg-Bomben standhalten sollte.
1982 wurde daraus ein Wohnhaus, auf das man noch zwei Stockwerke und Dachwohnungen aufsetzte. Man erkennt, dass man zu dieser Zeit allmählich dazu überging, solche Wohngebäude nicht als nur als Notlösung zu sehen, sondern mit einem eigenen architektonischen Anspruch an die Aufgabe heranzugehen.

In der Altstadt gibt es einen weitgehend im Originalzustand erhaltenen Bunker in der Alten Knochenhauerstraße. Er wurde 1940 an der Stelle der Synagoge errichtet, die während der Reichspogromnacht verwüstet und dann wegen angeblicher Baufälligkeit dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Was man an den Auskragungen ablesen kann, die es auch in der Kaiserstraße gab: in den Anfängen des Bunkerbaus in Braunschweig hatte man noch die Idee, die Betonwände mit Natursteinfassaden im unteren und Fachwerkimitat im oberen Bereich zu verblenden. Ausgeführt wurde diese Idee nie. Auch auf ein Dach, das den Bau wie ein Wohngebäude hätte aussehen lassen, verzichtete man, da bei den Flächenbombardements ohnehin kein Angreifer sich auf Bunker als Angriffsziel fokussierte.

Als letzter Bunker der Innenstadt müssen wir noch den am Kalenwall erwähnen: der große Abstand zwischen der oberen Fensterreihe und dem Dach weist auf die starke Decke hin, aber die Plattenfassade kaschiert immerhin die Betonwände.

Ein Blick vom Hinterhof aus offenbart die wahre Form des Gebäudes:

Nach dem Krieg wurde der Bau als Notunterkunft genutzt. Im 1958 zog das Kino Lido ein – die Aufschrift auf der Fassade weist noch darauf hin. Heute gibt es hier einen Imbiss und Clubs.
Auf der anderen Seite des Kalenwalls befand sich bis 1960 der Hauptbahnhof. Es ist naheliegend, dass es für Reisende einen leicht zu erreichenden Bunker gibt. Tatsächlich gibt es deren sogar zwei:
Der nördliche für 650 Personen war aus der Bahnhofshalle erreichbar. Die Eingänge wurden nach dem Krieg zugemauert. Nachdem der Bahnhof an den heutigen Standort umgezogen war, blieb hier lediglich die Fassade des Empfangsgebäudes stehen, die Bahnhofshalle wurde abgerissen. Das umgebaute Empfangsgebäude wurde anschließend von der Nord/LB bezogen, die versuchte, den Bunker als Aktenlager zu verwenden. Wegen Wassereinbruch wurde er wiederum gesperrt. Heute kann man noch die Bunkerdecke sehen, die sich – geschickt cachiert – an das Nord/LB-Gebäude anschließt.

Der südliche der beiden Bahnhofsbunker war kleiner: für 250 Personen, sowohl für Personal als auch für Reisende gedacht. Er war durch einen Verbindungsgang mit dem nördlichen Bunker verbunden. Heute muss man sich ihn als unterhalb der Konrad-Adenauer-Straße gelegen vorstellen.
Alle vorgenannten Bunker befinden sich innerhalb der Okerumflut. Weitere gibt es außerhalb – den größten zum Beispiel am Madamenweg unmittelbar angrenzend an das Ringgleis, gebaut 1941-42. Auf fünf Etagen sollten 1500 Menschen Platz finden. Im Turm auf der rechten Seite befand sich eine Rampe, mittels derer im Vergleich zu einer Treppe der Bezug im Luftschutzwall beschleunigt werden sollte.
Auch nach dem Krieg diente der Bunker als Unterkunft für sonst Obdachlose und Flüchtlinge. Erst 1974 wurden das Hausen in offenbar unwürdigen Bedingungen beendet. Man muss sich bewusst machen, dass es in dem Bau immer noch keine normalen Fenster gab.
Einen überzeugenden Plan für die folgende Nutzung gab es nicht. Umbauten für den Katastrophenschutz wurden nicht zu Ende geführt, ein Umbau zu Wohnungen frühzeitig abgebrochen. Nach zwischenzeitlicher Nutzung durch eine Diskothek wurden schließlich durch einen Investor großräumige Fenster und Balkone in die Betonwände geschnitten, so dass 2014 zahlreiche Eigentumswohnungen bezogen werden konnten.

Auch einer der größeren Bunker steht an der Methfessel-Straße: 1250 Personen sollten hier auf 5 Geschossen Platz finden. 1949-51 wurde er umgebaut, Fenster wurden eingelassen. So konnte er von Behörden genutzt werden: Finanzamt, Fürsorgeamt, schließlich auch von der TU. 2006/07 wurde das Gebäude wie andere zu hochwertigen Eigentumswohnungen umgebaut.

Eine spezielle Art von Bunker steht an der Celler Straße, auf dem Gelände der Klinik: er beherbergte einen kompletten Operationssaal sowie einen Kreißsaal und ermöglichte die Unterbringung von Betten – letztlich plausibel, dass man Kranke, Gebrechliche und Säuglinge nicht ungeschützt zurücklässt, während die anderen sich in einen Schutzbunker flüchten. Bis zu 1000 Personen sollten hier Platz finden.
Genau genommen gibt es hier sogar drei Bunkergebäude, so dass Menschen mit Infektionskrankheiten getrennt von anderen untergebracht werden konnten. Weiterhin gab es einen Apothekenbunker.

Einen ähnlichen Bunker gibt es an der Holwede-Klinik, allerdings nicht von der Straße aus einsehbar.
Auch zu einem Krankenhaus – gehört der dreigeschossige Bunker an der Ludwigstraße, vorgesehen für 225 Personen.

Das Wort Hochbunker wird an der Salzdahlumer Straße geradezu wörtlich genommen: nicht weniger als neun Stockwerke und einen Aufzug gab es hier. Ausgelegt war der Bunker für 990 Personen. Die Lage ist nicht zufällig: in unmittelbarer Nachbarschaft befand sich das Rollei-Werk, in dem Zielfernrohre, Periskope und andere Rüstungsgüter hergestellt wurden.
Nach dem Krieg wurden Fenster in die Wände gesprengt und Wohnungen eingerichtet. 1999 wurden daraus Eigentumswohnungen mit Balkonen.

Viel Aufwand investierte man in Bauschmuck. Was man heutzutage nicht mehr unmittelbar sieht: das Erdgeschoss umfasste ein durchgehender Fries aus Hakenkreuzen. Durch das Hineinschlagen von weiteren Fugen machte man aus den Hakenkreuzen unverdächtig aussehende geometrische Formen.

Ebenso relevant für die Rüstungsindustrie war Kralenriede: bei der Niemo – einem Tochterunternehmen von Büssing – wurden Flugzeugmotoren hergestellt. Bis zu 7500 Menschen arbeiteten dort, davon über die Hälfte Kriegsgefangene und Fremdarbeiter. Für letztere war der Bunker freilich tabu.
Der Bunker in Kralenriede ist zusammen mit dem an der Alten Knochenhauerstraße derjenige, der am meisten den Originalzustand wiedergibt.

Melverode, das – wie Kralenriede – 1934 eingemeindet wurde – verfügte über einen Bunker in der Glogaustraße nahe dem Ortskern (damals hieß die Straße noch Mascheroder Weg; womöglich wurde dieser umbenannt, weil es durch die Eingemeindung Stöckheims 1974 einen weiteren Mascheroder Weg gab). Er hat zwei Geschosse und war zwei 350 Personen ausgelegt. Anders als bei anderen Bunkern gibt es hier keinen Dacheinstieg.
Nach dem Krieg wurde bald ein kleines Hotel eingerichtet, andere Räume wurden geschäftlich vermietet. Nach längerem Leerstand erfolgte im 21. Jahrhundert der Umbau in ein Wohnhaus. Interessant ist das Gebäude, weil es seine Vergangenheit nur zum Teil cachiert.
